Radio-Schüler-Modell (Freiflug-Wurfgleiter von Schramme) von Arnold Wirz
Herkunft meines Modells
Im Januar 2016 bekam ich von Walter Wuhrmann von der MG Zürich zwei antike Segelflugmodelle zuhanden meiner Sammlung geschenkt. Es handelte sich zum einen um einen restaurierten Zürihegel von ca. 1945, konstruiert von Arnold Degen und zum andern um das Radio-Schüler-Modell aus dem Jahre 1936, konstruiert von Werner Schramme, beide erbaut von Max Pfenninger, einem langjährigen Mitglied der MG Zürich. Sie trugen die Nummer ZH-14, also Maxens persönliche Klubnummer.
Das Modell im Bild gehörte dem am 10.1.2016 verstorbenen Max Pfenninger. Es war allerdings ein Modell, welches anhand der Altersspuren der Bespannung schon viele Jahrzehnte nicht mehr geflogen ist. © Arnold Wirz
Max Pfenninger bei einem Besuch in Zürich-Seebach im Jahre 1966, also gute 30 Jahre nach dem Bau seines Radio-Schüler-Modells. © Gody Wettstein
Die MG Zürich schrieb zu ihrem 80-Jahr-Jubiläum: "In diesem Jahr (1936) fand auch das grösste Ereignis, nämlich ein Radio-Modell-Baukurs, welcher von Arnold Degen geleitet wurde, statt. Dieser Kurs dauerte fünf Lektionen, während denen Arnold Degen über das Mikrofon des Radiostudios Zürich die Hörer in die Geheimnisse des Modellbaus einführte. Den grossen Erfolg unterstrich der Verkauf von 1700 Modellbausätzen!" Der Bauplan konnte beim Modellbau- und Optikergeschäft von Oskar Hoppler in Zürich 1 bezogen werden. Dieses Anfängermodell bestand aus 24 Teilen, hatte eine Spannweite von 100 cm und ein Gewicht von rund 250 g. Für den Bau des Modells waren etwa 20 Stunden Arbeit nötig.
Max Pfenninger hat sein Modell somit mit grosser Wahrscheinlichkeit 1936 erbaut. Das Modell hat bis heute überlebt und liefert damit den klaren Beweis, dass er schon als Schüler den Modellbau pflegte. Er war damals zwischen 14 und 15 Jahre alt. Die Klubnummer ZH-14 und der Mitgliederausweis belegen, dass Max Pfenninger das Modell nicht nur 1936, sondern auch nach 1951 bei der MG Zürich flog und an Wettbewerben teilnahm oder dass das Modell zumindest dazu vorgesehen war, denn im Prinzip brauchten nur solche Flugzeuge eine Klubnummer. Mehr über den fliegerischen Einsatz des Radio-Schüler-Modells durch Max Pfenninger ist aber nicht bekannt, so schreibt es Walti Wuhrmann in seinem Nachruf in Modell-Flug-Sport 2/2016. Einen weiteren Beweis, dass Max Pfenninger es als junger Bub auch tatsächlich geflogen hat, waren die von mir am Hochstarthaken aufgefundenen kleinen Spuren von Graslandungen. Die Klubnummer ZH-14 konnte aber erst viel später angebracht worden sein, denn es gab 1936 noch keine Abreibe- oder Abziehbuchstaben und die Nr. 14 bekam er ja erst 1951 zugeteilt, also etwa 14 Jahre nach dem Erstflug.
Die Bleiballastkammer und der gute alte Pinöpel
Der Pinöpel, hier ein aus rundem Buchenholz geschnitzter und eigenwillig anmutender Bleischrotballastkammerverschlussstöpsel, den man von Graupners kleinem Uhu her seit 1956 bestens kennt, fand auch in Max Pfenningers Radio-Schüler-Modell offenbar schon viel früher Anwendung, doch ist er im Originalplan nicht ausdrücklich eingezeichnet.
Hier sieht man den hölzernen Pinöpel des Modells. Es ist fast identisch mit jenem meines Graupner Beginners, was vermuten lässt, dass der hier vorliegende Pinöpel in der antiken Schweizer Modellflugszene verbreitet war. © Arnold Wirz
Der Bauplan lässt offen, ob man an diesem Modell das Bleigewicht in Form von zwei Bleiplättchen ganz vorne mittels einer Schraube mit Flügelmutter verschieben konnte oder ob man eine Bleikammer benützte. Max Pfenningers Radio-Schüler-Modell hatte keine solchen Bleiplättchen, sondern ganz vorne im Rumpf eine Kammer für Bleikügelchen, zu welcher man durch Entfernen des Pinöpels Zugang hatte.
Dieser Pinöpel ist zusammen mit der Bleikammer eine geniale Erfindung, denn man konnte so das aussen am Rumpf angebrachte hässliche Bleigewicht umgehen. Dank dem Pinöpel benötigte man für den Zugang zur Bleischrotballastkammer kein Werkzeug. Die meisten anderen Hersteller gingen erst in den späteren 1950-Jahren zur Bleikammer über und benützten zum Verschliessen eine möglichst flache Rundkopfschraube, deren Bedienung aber einen Schraubenzieher oder doch eine sehr schmale Münze oder ein Sackmesser erforderte und somit zeitaufwändiger war. Es ist allerdings nicht mehr zu ermitteln, ob Max Pfenninger die Bleikammer von Anfang an oder erst später einsetzte. Am Modell finden sich immerhin keine Spuren eines nachträglichen Umbaus.
Im Bild das Rumpfvorderteil mit dem eingesteckten Pinöpel. In diesem schmalen Vorderteil befindet sich die Bleiballastkammer. © Arnold Wirz
Wenn es zutreffen sollte, dass Max Pfenninger sein Modell schon 1936 mit einer Bleikammer ausstattete, dann gehörte er diesbezüglich zur Avantgarde. Einen fast identischen Pinöpel fand ich auch bei meinem als Occasion erworbenen Graupner-Modell "Beginner" aus dem Jahre 1960, was vermuten lässt, dass entweder Graupner verschiedenartige Pinöpel benützte oder dass der frühere Besitzer des "Beginners", der aus Dübendorf ZH stammte, einen alten Pinöpel von Pfenninger/Schramme benützte oder nachbaute.
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Zustand des ModellsDas Modell ist strukturmässig noch weitgehend intakt, sprich im Original erhalten und benötigt neben einer neuen Bespannung aus Japanseide lediglich die Beseitigung von kleinen Verspannungen am linken Aussenflügel und am Höhenleitwerk sowie das Geräden der Randbögen aus Peddigrohr und den Ersatz der Nasenleisten, die bereits zu stark verbogen sind. Es besitzt ein verstellbares Seitenruder über ein Gestänge zum Vorderrumpf, wo aber die manuelle Verstellvorrichtung an der Rumpfauflage fehlt. Diese werde ich wieder rekonstruieren, da sie im Originalplan nicht vorgesehen war und eine Sondereinrichtung von Max Pfenninger war, die er aufgrund des verwendeten Materials erst später einbaute.
Hier ein Bild vom Modell, das inzwischen von der alten Papierbespannung befreit wurde. Deutlich zu sehen ist hier, dass das Höhenleitwerk neu gerichtet werden muss, da sich der hintere Rumpf etwas verzogen hat. © Arnold Wirz
Das Radio-Schüler-Modell repräsentiert zusammen mit dem Zürihegel von ca. 1945 die modellmässige Hinterlassenschaft aus den Jugend- und Junggesellenjahren von Max Pfenninger. Da er erst 1951 Mitglied der MG Zürich wurde, dürfte er das ältere der beiden Modelle aufgrund der damals ausgestrahlten Radiosendungen gebaut haben. Das Radio-Schüler-Modell ist mit einem Hochstarthaken ausgestattet, was andeutet, dass es nicht nur als Wurfgleiter, sondern auch als Thermiksegler eingesetzt worden ist. Das Modell wird nun so originalgetreu wie möglich restauriert.
Schicksal des ModellsAus Platz-, Alters- und gesundheitlichen Gründen musste ich im Herbst 2016 in eine kleinere Wohnung in der Nähe meiner Kinder ziehen. Das brachte es mit sich, dass ich mich auf den braven Fesselflug reduzieren musste und alle Freiflug- und RC-Modelle an ein paar gute Freunde und Bekannte weitergab, von welchen ich Gewissheit hatte, dass sie weiterhin für den Erhalt der meist historischen Modelle sorgen werden. Das Radio-Schüler-Modell ging an Dominique Vultier, der es innert kürzester Zeit vollständig renovierte und wieder in den Originalzustand versetzte. Siehe das Foto von 2019!
Zum Modell und dem Konstrukteur
Gelegentlich liest man von einem Schramme S-113 Radio 1 Boby, aber auch von einem Radio-Schüler-Modell. Für beide werden 100 cm Spannweite und Baujahr 1936 angegeben. Ob diese Modelle identisch sind, muss ich noch abklären.
Werner Schramme war ein fleissiger Konstrukteur und Gründungsmitglied der MG Zürich. Er war dort auch als Bauleiter für die Modellbaukurse zuständig.
Die Fluggruppe Zofingen lancierte im Jahre 2002 einen Aufruf zum Nachbau dieses Modells, verbunden mit einer Veranstaltung. Zudem suchte man alte originale Modelle oder andere historische Unterlagen und Berichte zum alten Baukurs von 1936. Dieses zeigt, dass das Radio-Schüler-Modell in der Erinnerung vieler Modellbauer immer noch lebt. 2002 werden von diesem Verein 6 vorhandene Modell gezählt. Wieviele tatsächlich noch nachträglich gebaut wurden, ist nicht bekannt. Ich nehme mal an, dass gesamtschweizerisch noch etwas mehr als ein Dutzend Exemplare existieren.
Nachtrag zum Modellbaugeschäft von Oskar Hoppler
Oskar Hoppler war eigentlich Optiker und sein Geschäft war ein Optikergeschäft in Zürich. Die Modelleisenbahnen wurden eher nebenbei verkauft, da Oskar Hoppler als Mitglied eines im Jahre 1933 gegründeten Modellbauvereins den Einkauf und Verkauf übernahm. Die Kunden waren vor allem Kinder und Bastler. Das Lokal befand sich an der Bahnhofstrasse 48. Da Basteln damals als unmännlich galt, musste sich die erwachsene, männliche Kundschaft eher diskret verhalten. Sie kauften für ihre Kinder ein. Hoppler führte vor allem Ware aus England, Deutschland und der Schweiz.
Ein paar Jahre später erweiterte er sein Sortiment und verkaufte auch Bauteile für den Modellflug, unter anderem auch die Modellbaukästen Albis 1, Shell 1, Fips 2, Meco S-111 und Fachliteratur usw, wie man aus einem Inserat jener Zeit entnehmen konnte. Vergeblich versuchte er mithilfe des Zürcher Vereins für Handarbeit und Schulreform, das Schulamt zum Bau von Schülerkursen zu bewegen. Das gelang dann erst unter Mitwirkung von Willy Streil in den 1950er Jahren. Am 10.3.1942 verstarb Oskar Hoppler bei einer Bergtour oberhalb Saas Fee durch Absturz. Gustav Feucht, ebenfalls ein Optiker, übernahm dann das Verkaufsgeschäft von Oskar Hoppler und führte es noch bis in die 1950er Jahre weiter. Da spürte er bereits den warmen Atem von Willy Streil im Nacken, aber auch jenen von Globus, Franz Carl Weber und Jelmoli, die alle nach und nach eine Modellbauabteilung einrichteten.
Nachbau des Radio-Schüler-Modells
Wer Lust hat, dieses historische Modell nachzubauen, kann bei der IGA einen Plan beziehen. Siehe auch Planarchiv Modelle
Technische Daten
Spannweite: 100.6 cm
Länge insgesamt: 81.5 cm, nur Rumpf: 75 cm
Höhe: 12.6 cm
Flügeltiefe: 13.5 cm
Spannweite Höhenleitwerk: 30.5 cm
Flügelfläche: 13.2 dm²
Höhenleitwerkfläche: 2.7 dm²
Flächenbelastung: 14.84 g/dm²
Gewicht: 236 g ohne Bleiballast
Quellen:
- Arnold Wirz
- MG Zürich in ihrer Website
- Fluggruppe Zofingen, Bericht aus 2002
- http://www.schweizerische-spielzeugeisenbahnen.ch/content/46/38/spielzeugeisenbahnen (Infos zu Hoppler/Feucht)
Letztmals redigiert: 26.6.2024